Während die Tage der letzten Braunkohlekraftwerke im Rheinischen Revier gezählt sind, ist in Grevenbroich-Frimmersdorf, eine der größten Industrieanlagen Europas, schon vor einigen Jahren vom Netz gegangen. Diese riesige Kohleverstromungsanlage steht also schon lange still, soll aber im Rahmen der Transformation eventuell neuen Nutzungen zugeführt werden.

Die gewaltige Anlage einmal von oben betrachtet. Luftbild: Wikipedia

Vor einigen Tagen ist in den politischen Gremien des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) ein spannender Bericht über das Rheinischen Revier zur Kenntnis gebracht und diskutiert worden. In der mit „Sachstandsbericht zum Beitrag der LVR-Kultur zu den Transformationsprozessen im Rheinischen Revier“ betitelten Verwaltungsvorlage gibt es neben dem Überblick über die bislang schon entwickelten Aktivitäten des LVR-Kulturdezernats auch einen Bericht über das Werkstattverfahren zum stillgelegten Megakraftwerk Frimmersdorf.

14,8 Milliarden Euro fürs Revier

Warum beschäftigt sich das Dezernat Kultur des LVR mit dem Rheinischen Revier? Der Konsensbeschluss, aus dem Braunkohletagebau und der Kohleverstromung auszusteigen, ist für die vier deutschen Braunkohlereviere mit einem Begleitbeschluss versehen worden. Durch das sogenannte „Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen“ stellt die Bundesregierung unserem Rheinischen Revier in den nächsten zwei Jahrzehnten 14,8 Milliarden Euro zur Verfügung. Mit diesen zusätzlichen Fördermitteln soll der schnelle Ausstieg aus der Braunkohleverstromung ermöglicht und die damit zusammenhängenden Beschäftigungs- und Wertschöpfungsverluste kompensiert werden.

Die Turbinenhalle, beim Bau die längste Industriehalle der Welt, in der die 16 Dampfturbinen montiert sind, mit denen die Energie zu Strom umgewandelt wurde. Die Brennöfen, in denen die zerkleinerte Braunkohle verbrannt wurde, sind von hier aus gesehen links der Trennwand betrieben worden. Mit der Brennwärme wurde Wasserdampf zum Betrieb der Turbinen erzeugt. Rechts, außerhalb der Halle standen die Transformatoren, mit denen die Energie dann ins Stromnetz eingespeist worden ist. Foto: Dr. Ralph Elster

Ein wesentlicher Teil des Geldes soll selbstverständlich für die Schaffung neuer Arbeitsplätze investiert werden. Immerhin sind im Rheinland weit mehr als 10.000 Arbeitsplätze von dem Ausstieg betroffen. Ein anderer Teil der Bundesförderung soll aber auch z.B. in die Bewahrung des kulturellen und nicht zuletzt in die Aufarbeitung des industriegeschichtlichen Erbes fließen.

„Unglaublich eindrucksvoll“

Die wissenschaftliche und museale Behandlung der Kulturgeschichte des Rheinlandes von der Frühzeit bis in die Gegenwart ist seit Jahrzehnten eine nachgewiesene Kernkompetenz des LVR, wie das Landesmuseum Bonn oder auch die zahlreichen im LVR-Gebiet gelegenen Industriemuseen zeigen. Vor allem dann, wenn wie in diesem Fall zahlreiche Kommunen beteiligt werden müssen, ist der LVR die erste Adresse. Schon in 2019 hatte die Landschaftsversammlung Rheinland deshalb auf Betreiben der CDU-SPD-Koalition die Verwaltung gebeten, Konzepte zu entwickeln, die dem dramatischen Strukturwandel im Rheinischen Revier Rechnung tragen und mit denen die Veränderungen in der Landschaft dokumentiert und vermittelt werden können.

Hier war es nicht nur heiß, sondern auch ohrenbetäubend laut. Foto: Dr. Ralph Elster/pp/Agentur ProfiPress

Unter dem Titel „Strukturwandel im Rheinischen Revier“ hat das Kulturdezernat daher eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe eingesetzt, die die vielfältigen Kompetenzen der LVR-Kulturdienststellen in Bezug auf Industriekultur, Denkmalpflege, Archäologie, Kulturanthropologie und Geschichte zusammenführt, mit dem Ziel ein Gesamtkonzepts zur Vermittlung des kulturellen Erbes des Rheinischen Reviers zu erarbeiten.

Der Landschaftsausschuss ist den Handlungsempfehlungen der Vorlage gefolgt und hat die Verwaltung zum einen damit beauftragt, eine Studie zur Prüfung der Realisierbarkeit eines archäologischen Kulturlandschaftsparks durchzuführen. Nähere Informationen dazu findet man als Anlage eins in der oben genannten Vorlage.

Zum anderen soll die Verwaltung sich an der Fortsetzung des Werkstattverfahrens zur möglichen Nutzung des ehemaligen Kraftwerks Frimmersdorf beteiligen. Dabei soll die Kulturverwaltung prüfen, ob und in welcher Form Teile des Gebäudes als Industriemuseum oder auch als Depot für kommunale Kultureinrichtungen genutzt werden könnten.

Vor einigen Wochen hat der Arbeitskreis Kultur der CDU-Fraktion im LVR deshalb das Kraftwerk in Frimmersdorf besichtigt und sich vor Ort einen Eindruck vom Zustand der stillgelegten Industrieanlage verschafft. Die spektakuläre Anlage in Frimmersdorf ist auch Jahre nach der Stilllegung unglaublich eindrucksvoll.

Jährlich 17 Milliarden Kilowattstunden erzeugt

Ein Vorläuferkraftwerk war schon in den zwanziger Jahren in der Nähe des späteren Industriegiganten betrieben worden. Ab 1954 begann man dann aber in Grevenbroich sukzessive das größte Wärmekraftwerk der Welt zu bauen. Die Endausbaustufe war 1970 erreicht, das Kraftwerk Frimmersdorf brachte es auf eine Leistung von 2.600 MW, die von insgesamt 16 in Reihe aufgestellten Kraftwerksblöcken über Jahrzehnte hinweg in einem 24/7-Betrieb produziert wurde.

Der RWE zufolge wurden in dem Megakraftwerk im Zeitraum von 1989 bis 2004 mit den damals noch 14 betriebenen Blöcken jährlich etwa 22 Millionen Tonnen Braunkohle verfeuert und über die Turbinen dann etwa 17 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugt. Eine unglaubliche Menge Strom. Mit Bezug auf die von der Tageschau veröffentlichten Berechnungen ist das der Strom für den man alternativ zwei durchschnittlich effiziente Atomkraftwerke betreiben müsste oder weit mehr als 9000 durchschnittliche Windkraftanlagen.

Ein Blick auf die Wand einer Brennkammer zeigt die Schlacke, die sich im Betrieb bildet. Die Verbrennung der zu Staub zermahlenen Braunkohle wurde mittels Ölzündbrenner gestartet. Foto: Dr. Ralph Elster

Mit dem Neubau des in der Nähe gelegenen Kraftwerkes Neurath in 2014 wurde Frimmersdorf nach und nach abgeschaltet. Im Jahr 2017 wurden die letzten Blöcke vom Netz genommen, allerdings bis 2021 in die sogenannte Sicherheitsbereitschaft überführt. Im September 2021 wurde der Industriegigant dann, ohne noch einmal in Betrieb gegangen zu sein, endgültig stillgelegt.

Die riesigen Industrieflächen, die in Frimmersdorf schon heute brach liegen oder im Zuge des Braunkohleausstiegs verfügbar werden, sind selbstverständlich Kernthema des sogenannten Reviervertrages in dem das Land NRW gemeinsam mit den betroffenen Kommunen die Perspektiven für das Rheinische Revier dokumentiert hat. Es lohnt sich, diese Perspektiven für das Rheinische Revier auch aus Kölner Sicht zu lesen, denn wenn die dort skizzierte Transformation der Tagebauregion zur attraktivsten Wirtschaftsregion Europas gelingen sollte, wird das auch große Auswirkungen auf Köln haben.

Unter anderem ist zum Beispiel geplant, unsere TH um einen künftig in Erftstadt gelegenen Rhein-Erft-Campus zu erweitern, der für rund 2.000 Studierende mit Studien- und Forschungsschwerpunkten in den Profilbereichen Nachhaltige Raumentwicklung, Infrastruktursysteme und Geoinformatik eingerichtet werden soll. Ein gute Quelle für weitere spannende Informationen rund um das Rheinische Revier ist der Region Köln/Bonn e.V. oder auch die mittlerweile eingerichtete Zukunftsagentur Rheinisches Revier.

7.500 Jahre detailgetreu nachgezeichnet

Es sind schon unglaubliche Anstrengungen erforderlich, die Rekultivierung der riesigen Abbaugebiete vorzunehmen und die Umnutzung der Konversionsflächen einzuleiten. Mit den größten künstlichen Seen Europas wird im Rheinischen Revier eine spektakuläre Landschaft in unmittelbarer Nähe unserer Stadt entstehen. Und wenn die Wirtschaftsförderprogramme erfolgreich verlaufen, wird die gesamte Region hochattraktiv für Unternehmen und Investoren.

Frimmersdorf hält in zahlreichen Tiefgeschossen „Katakomben“ bereit, über die die Ver- und Entsorgung der Industrieanlage sichergestellt worden ist. Neben dem Brennstoff Braunkohle und dem Abfallprodukt Schlacke waren insbesondere die Chemikalien zur Rauchgasentgiftung Massenware, die schienengebunden transportiert wurde. Foto: Dr. Ralph Elster

Im Rahmen der Transformation wird es aber auch darum gehen, den Menschen im Rheinland endlich Zugang zu dem unglaublich reichhaltigen Wissen zu ermöglichen, dass im Rahmen der Braunkohlenarchäologie gewonnen werden konnte. Der Tagebau war auch immer begleitet von archäologischen Teams, die in den letzten 50 Jahren Unmengen von archäologischen Befunden sicherstellen konnten. Die Fachleute können heute die Entwicklung der Siedlungs- und Wirtschaftsstrukturen und auch die Umweltbedingungen der letzten 7.500 Jahre zwischen Köln, Aachen und Mönchengladbach detailgetreu nachzeichnen wobei insbesondere der Blick in die vorrömische Zeit künftig auch einer breiteren Öffentlichkeit zuteil kommen soll.

Titelfoto: Dr. Ralph Elster